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    1 年前

    Erfolge in Salzburg und Graz

    So erobern Österreichs Kommunisten die Städte

    Österreichs stramm rechte FPÖ profitierte jahrelang von Proteststimmen, jetzt bekommt sie Konkurrenz von den Kommunisten – ausgerechnet in bürgerlichen Zentren. Fällt auch Salzburgs Bürgermeisterposten an die Dunkelroten?

    [Bild] Salzburger KPÖ-Chef Dankl in seinem Wohnviertel Lehen Foto: Stefanie Ruep

    Im »Bazar« am Salzach-Ufer läuft die bessere Gesellschaft in Abendgala auf. Man nimmt Drinks als Ouvertüre zu Beethovens Eroica. Korrekt gekleidete Kellner wieseln, das Festspiel-Publikum feiert sich, vor der Tür nieselt’s: Salzburg im Sommer.

    Seit 1920 finden die Salzburger Festspiele jedes Jahr statt, nicht zuletzt zu Ehren von Wolfgang Amadeus Mozart, dem berühmtesten Sohn der Stadt – eine Feier der Hochkultur.

    Nicht weit vom »Bazar« entfernt, steigt an diesem Abend ein junger Mann aufs Rad und strampelt in Richtung des wenig glamourösen Stadtteils Liefering. Kay-Michael Dankl ist Landeschef der Kommunistischen Partei Österreichs, in Salzburg KPÖ Plus genannt. Dankl ist viel unterwegs. Mehr als hundert Beratungsgespräche pro Jahr führt er mit Einwohnern – das trägt bei zum Erfolg der Kommunisten in dieser als bürgerlich geltenden Stadt.

    Der Weg führt Dankl diesmal in eine – vorgeblich – gemeinnützige Wohnbausiedlung. Eine Pflegerin, die hier mit ihrer vierköpfigen Familie auf 59 Quadratmetern haust, bat um das Treffen. Ein Holzofen im Wohnzimmer ist ihre einzige Wärmequelle. Die Miete pro Quadratmeter beträgt trotzdem mehr als 13 Euro. Der örtliche KP-Chef fragt, hört zu, macht sich Notizen. Am Ende regt er an, betroffene Bewohner zusammenzutrommeln und Widerstand zu organisieren.

    Dankl ist in Salzburg das Gesicht einer Partei, die einen Boom erlebt: In Österreichs viertgrößter Stadt mit knapp 160.000 Einwohnern haben seine Kommunisten bei der Landtagswahl im April fast 22 Prozent der Stimmen geholt.

    »Die Arbeiter sind eine Macht«

    Mehr als 30 Prozent waren es gar in der einst als Nobelviertel gegründeten Elisabeth-Vorstadt. Bis heute erinnert vor dem Bahnhof eine Statue der Kaiserin »Sisi« an bessere Zeiten. Hier, zwischen Wettbüros, einem Erotikshop und dem Trümmerfeld eines niedergerissenen Wohnblocks vor dem Bahnhof steht das Volksheim, Sitz der Salzburger KPÖ. »Die Arbeiter sind eine Macht; wenn sie zusammen kämpfen, sind sie unbesiegbar« steht an der Fassade.

    [Bild] KPÖ-Volksheim in der Elisabeth-Vorstadt

    Salzburg ist die zweite Landeshauptstadt, in der die Kommunisten massiv auf dem Vormarsch sind: In Graz, nach Wien Österreichs größte Stadt, regieren die Marx-Erben seit knapp zwei Jahren. Seither läuft die steirische Metropole scherzhaft unter dem Namen »Leningraz«.

    Wie aber erklärt sich der Erfolg der Kommunisten in Österreichs Städten – zumal im barocken Salzburg, wo die radikale Linke politisch nie eine Rolle spielte? Was begründet den Erfolg der Bannerträger einer scheinbar längst zu Grabe getragenen Ideologie? »Streamen sie alte Maiaufmärsche mit Erich Honecker aus dem Darknet?«, wie der spottbegabte Kolumnist Christian Nusser zulasten der linken Exoten mutmaßte, oder »lassen sie sich beim Friseur die Haare mit Hammer und Sichel in Façon bringen?«

    Erst einmal arbeiten sie mit Karteikarten. Jedes einzelne Gespräch mit Bittstellern und Bedürftigen vermerkt Parteichef Dankl handschriftlich auf giftgrünem Karton, damit das Problem schon mal einen Namen und der Vorgang ein Protokoll hat. Anschließend versucht er, eine Lösung zu finden – selbst oder mithilfe eines Mitarbeiters. Salzburgs Kommunisten, vom gemeinen Volk liebevoll »Kummerln« genannt, heben sich von politischen Mitbewerbern vor allem in einem Punkt ab: Sie kümmern sich wirklich.

    In Österreich sitzt der Frust über die traditionellen politischen Parteien sehr tief. Von Proteststimmen profitierte bisher vor allem die rechtspopulistische FPÖ, die vier Jahre nach der Ibiza-Affäre wieder in den landesweiten Umfragen vorn liegt. Am anderen Ende des politischen Spektrums profitieren nun auch die Kommunisten vom raumgreifenden Verdruss. Sie erreichen die Menschen mit konkreten Hilfsangeboten: vor allem beim zunehmend zentralen Problem der Wohnungsnot.

    Kommunisten im Schloss

    »Wir wollen den Menschen, die keine Stimme haben, eine geben«, sagt Dankl in seinem Büro, das im zweiten Stock des Schlosses Mirabell liegt. Dutzendweise schlurfen hier Touristen die Prunkstiege mit ihren antikisierenden Statuen in Nischen aus dem 17. Jahrhundert hoch. In Zimmer 231 schildert derweil der so bescheidene wie sprachgewandte Chef-Kommunist, von Beruf Historiker, die Schattenseiten der Gegenwart in Salzburg: »Ob durch Unfall, Krankheit, Scheidung oder Jobverlust, das Problem drohender Wohnungslosigkeit ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.«

    KPÖ-Parteimitglied Peter Linhuber sieht das genauso. Der Salzburger Leiter von VinziDach, einer katholischen Hilfsorganisation für betreutes Wohnen, trägt Kapuzenpulli zum Pferdeschwanz und erklärt, warum Dankl und seine Parteifreunde so erfolgreich geworden sind. »Wohnen ist in Salzburg zunehmend zur Ware geworden«, sagt Linhuber, »wir versuchen, mit zehn bis fünfzehn von der Stadt zur Verfügung gestellten Wohnungen die ärgsten Notfälle zu beheben.«

    Wie sieht der Notfall aus? »Jemand bringt durch einen Schicksalsschlag die Miete nicht mehr auf, es folgen Räumungsklage und Gerichtstermin, am Ende kommen die Spedition und der Schlüsseldienst«, sagt Linhuber. Seine Mitarbeiter hält er im Stadtgebiet beständig auf Trab: »Wir radeln dorthin, wo gerade jemand auf der Straße sitzt und kümmern uns um Lösungen, bevorzugt in der Gegend Bahnhofsvorplatz.«

    [Bild] Festspielstadt Salzburg

    »Mietenstopp jetzt« steht auf KPÖ-Plakaten im Stadtteil Lehen, wo Dankl selbst auf 46 Quadratmetern mit seiner Freundin wohnt. Seine Anhängerschaft hier ist beträchtlich.

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      1 年前

      Hohe Schule der Außenseiter und Armen

      Vor Dankls Wohnungstür erstreckt sich die Gegend, über die der Dramatiker und oberste Nestbeschmutzer Österreichs Thomas Bernhard einst schrieb: Unweit des Lehener »Irrenhauses« besuche man die »Hohe Schule der Außenseiter und Armen, die Hohe Schule der Verrückten und der für verrückt Erklärten in der Scherzhauserfeldsiedlung, in dem absoluten Schreckensviertel der Stadt«.

      Nun ja. Wer nicht gerade den vom Leben Gezeichneten in der Anwohner-Gaststätte »Stern« zuhört, der würde die Wohngegend des KPÖ-Chefs Dankl heute wohl weniger herablassend beschreiben. Wahr aber ist, dass hier, nur gut zwei Kilometer Luftlinie vom Festspielhaus entfernt, diverse Schnäppchenmärkte Zulauf haben und die Bevölkerungsstruktur sich schrittweise verändert: Lamia, Ibrahim und Mohamed – so lauten die Namen, die ans Kindergartenfenster gepinselt sind.

      Im März war Elke Kahr da, als Wahlkampfhelferin im Stadtteil Lehen. Kahr ist so etwas wie das Gesicht der roten Renaissance auf österreichischem Boden.

      Seit November 2021 Bürgermeisterin von Graz, steht die steirische Kommunistin im Kern für das, was nun auch Dankl in Salzburg erfolgreich umsetzt: sich kümmern, anderen helfen, selbst bescheiden bleiben. Das von der KPÖ in Graz eingeführte Modell führt Dankl in Salzburg fort. Es sieht vor, einen Teil der Abgeordneten-Diäten zu spenden für jene, die das Geld nötiger haben. Für sich selbst behält der KPÖ-Chef nur den Gegenwert eines Facharbeiterlohns.

      Um die 5000 Euro werden durch den Beitrag der vier Salzburger KPÖ-Landtagsabgeordneten monatlich frei für soziale Zwecke. Das ist zwar nicht viel in einer Stadt, in der schon ein einziger Quadratmeter Immobilie beim Kauf mehr kostet. Aber es ist ein Ausrufezeichen, ein politisches Bekenntnis mit drei Nullen am Ende.

      In Graz konnten Elke Kahr und ihre österreichweit als »Kernöl-Marxisten« bespöttelte Truppe zumindest auf eine gewisse Tradition bauen: Die Hofratswitwe im Pelzmantel, die mit einer Stimme für die KPÖ klammheimlich ihr Gewissen erleichtert, zählt dort zu den lokalen Besonderheiten. Man steuerte in der steirischen Landeshauptstadt seit jeher einen eher gemäßigten Kurs, der dem jugoslawischen Sozialismus nahestand, im Einzelfall aber auch diktatorische Regime wie jenes in Belarus verherrlichte.

      Von den Grünen verschmäht

      In Salzburg hingegen stehen die Dinge anders. Dankl und ein Teil seiner engsten Mitstreiter verschrieben sich ursprünglich der Sache der Grünen. Sie wurden allerdings aus der Partei gedrängt. Auch weil ihnen der ehemalige grüne Parteichef und heutige Bundespräsident Alexander Van der Bellen in Wirtschaftsfragen zu bürgerlich war. Inzwischen hat in Salzburg die KPÖ den bundesweit mit der konservativen ÖVP regierenden Grünen den Rang abgelaufen.

      Der schlaksige Menschenfänger Dankl lässt offen, ob er im Frühjahr für den Sessel des Salzburger Bürgermeisters kandidiert. Gute Chancen hätte er. Viele Menschen in der ÖVP-regierten Stadt sind die Verhältnisse leid. Zumindest jene, die nicht Teil der Hautevolée sind oder Mitglied im Golfclub Salzburg, dem satte 160.000 Quadratmeter Grund samt Villa und Swimmingpool für eine monatliche Miete von 1200 Euro überlassen wurden – Normalbürger bekommen dafür nicht einmal eine ordentliche Dreizimmerwohnung.

      [Bild] »Jedermann«-Aufführung bei den Salzburger Festspielen

      Wenn abends unterm Sternenhimmel vor der Fassade des Salzburger Doms Hugo von Hofmannsthals »Jedermann« gegeben wird, das »Spiel vom Sterben des reichen Mannes«, wenn sorgfältig gekleidete Mitglieder des gehobenen Bürgertums dieses frühe kapitalismuskritische Mysterienspiel beklatschen, dann darf das als künstlerische Begleitmusik zum Vormarsch der Kommunisten in der Festspielstadt verstanden werden.

      KPÖ-Chef Dankl hat eine klar umrissene Meinung zu den Salzburger Festspielen, die noch bis Ende August seine Stadt zum kulturellen Pilgerziel machen. Er fordert, die vorhandenen Freikarten künftig breitflächiger zu vergeben und den »Jedermann« mindestens dreimal pro Saison gratis fürs Volk zu zeigen: »Wir wollen Hochkultur nicht streichen, im Gegenteil, wir wollen sie für alle zugänglich machen«, sagt Dankl, »es geht ja darum, die Stadt und ihre Einwohner mit diesen Festspielen zu versöhnen, die Entfremdung zu überwinden.«

      Ironie der Geschichte: Kein anderer als der eingebürgerte Exilant Bertolt Brecht war es, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Dramaturg bei den Salzburger Festspielen im Gespräch war. Ein eigenes Stück, sinnigerweise »Salzburger Totentanz« überschrieben, hatte der Marxist bereits in Arbeit. Doch er unterschätzte den öffentlichen Widerstand: »Kulturbolschewistische Atombombe auf Österreich abgeworfen«, so lautete eine der Anti-Brecht-Schlagzeilen damals.

      Zwischen Brecht und den Salzburgern kam es am Ende nicht zur Liaison. Und bis heute haben die Kommunisten in der Stadt nicht das Sagen. In der Landesregierung reichen sich seit Juni die christkonservative Kanzlerpartei ÖVP und die rechtsnationale FPÖ die Hand zum Bündnis gegen links.

      »Aus Sicht des Landeshauptmanns mag Salzburg ein Paradies sein«, sprach der im T-Shirt angetretene KPÖ-Chef Dankl bei seiner Antrittsrede im festlich gestimmten Plenum: Aber inzwischen sei jedes fünfte Kind im Land armutsgefährdet, die Wirklichkeit »da draußen« unterscheide sich erheblich vom Bild, das im Regierungsprogramm gezeichnet werde.