Er freut sich darauf, im Einsatz linke Zecken zu verprĂŒgeln und gilt polizeiintern als Menschenfeind: Kontext liegen Chatprotokolle vor, in denen der Beamte Rainer JĂ€ger (Name geĂ€ndert) mit Gewalttaten prahlt. Konsequenzen hatte das bislang nicht, aber das könnte sich bald Ă€ndern.

Am 28. Juli 2017 bekommt Polizeiobermeister Rainer JĂ€ger, der in Wahrheit anders heißt, eine Nachricht: Wie war es denn in Hamburg?, will jemand wissen.

JĂ€ger, damals 28 Jahre alt, war von Baden-WĂŒrttemberg aus im Einsatz, um den G20-Gipfel 2017 abzusichern.

Doch nach Ausschreitungen zwischen Polizei und Demonstrant:innen schreibt er: “Schlimm. Diese ganze Gewalt und Zerstörung.” Kurz darauf folgt die AufklĂ€rung: “Das war ein Scherz. Es war Mega gut.” Er habe “ordentlich ausgeteilt” und “hoffe nur das ich keine Post aus hh bekomme”. Die Post kam – doch JĂ€ger hat sich zu Unrecht Sorgen gemacht.

Im Hochsommer 2017 brannten Barrikaden im Hamburger Schanzenviertel, der Protest rund um den G20-Gipfel eskalierte. Doch am 8. Juli, dem Tag nach den schweren Krawallen, entspannt sich die Stimmung in der Stadt wieder leicht.

Seit 18 Uhr ist das Demonstrationsverbot, das zwischenzeitlich fĂŒr die Hamburger Innenstadt galt, aufgehoben. Etwa 20 junge Menschen starten am Pferdemarkt in St. Pauli die friedliche Aktion “Lieber tanz ich als G20”, mit der sie – so geben es Beteiligte spĂ€ter zu Protokoll – fĂŒr gute Laune sorgen wollten.

Ein Video, das die Polizei selbst angefertigt hat, zeigt dann allerdings, wie mehrere Beamte losrennen, nicht nur die Musikanlage in ihre Einzelteile zerlegen, sondern ohne Vorwarnung auf die jungen Leute einschlagen.

„Es hat keine Polizeigewalt gegeben.“ - Olaf Scholz

Betroffen ist auch Lola D., damals 26 Jahre alt, hauptberuflich Erzieherin und nebenher als Flamenco-TĂ€nzerin aktiv. Ein Schlagstock bricht ihr das Wadenbein; bis sie wieder tanzen kann, vergehen fast 1,5 Jahre.

Dass die Gewaltanwendung gegen sie rechtswidrig war, ist lÀngst vor Gericht geklÀrt. So erhielt sie nach einer Klage knapp 5.000 Euro Schadensersatz. Allerdings bleibt das abstrakt: Schuldig gesprochen ist hier die Polizei als Institution. Der konkrete TÀter musste sich jedoch nie auf einer Anklagebank verantworten.

Dabei konnte der Kreis der VerdÀchtigen stark eingegrenzt werden. Von den circa 29.000 Polizist:innen, die wÀhrend des Hamburger G20-Gipfels im Einsatz waren, kommen nach internen Ermittlungen nur noch drei in Frage.

Auf den Videoaufnahmen tragen die Beamten zwar Uniform und Helm, somit sind kaum körperliche Merkmale zu sehen. Allerdings ist beim TĂ€ter eindeutig die Kennzeichnung “BFE 1160” zu erkennen.

Damit ist klar, dass jemand von der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) des PolizeiprĂ€sidiums Einsatz aus Baden-WĂŒrttemberg, Direktion Bruchsal, zugeschlagen haben muss.

So blieben schnell nur noch drei potenzielle TĂ€ter ĂŒbrig. Der weitere Ermittlungseifer hielt sich dann aber in Grenzen. Weil es die zustĂ€ndige Staatsanwaltschaft in Hamburg fĂŒr aussichtslos hielt, den TĂ€ter eindeutig zu ermitteln, wurde das Verfahren mehrfach eingestellt – und nach Beschwerde durch den Anwalt der GeschĂ€digten, Dieter Magsam, wieder eröffnet.

Zudem lehnte das Amtsgericht Hamburg Hausdurchsuchungen bei den VerdĂ€chtigen zunĂ€chst “aus GrĂŒnden der VerhĂ€ltnismĂ€ĂŸigkeit” ab.

Das Hamburger Landgericht korrigierte diese EinschÀtzung zwar spÀter. Allerdings wurden die Razzien erst im Februar 2023 vollstreckt, also knapp sechs Jahre nach der Tat.

Und doch konnten dabei relevante Informationen zutage gefördert werden. So schreibt die Hamburger Polizei in einem Ermittlungsvermerk, dass verschiedene technische GerĂ€te beschlagnahmt und forensisch ausgewertet worden seien. Insbesondere in Chatprotokollen gebe es Daten, “die den Verdacht erhĂ€rten, dass es sich bei dem Beschuldigten [JĂ€ger] um den TĂ€ter handelt. ZusĂ€tzlich wurden als Zufallsfunde diverse GesprĂ€chsinhalte festgestellt, die auf eine hohe Gewaltbereitschaft und menschenverachtendes Verhalten des Beschuldigten [JĂ€ger] schließen lassen”.

Etwa wĂ€re da ein Bild, das JĂ€ger am 9. Juli 2017, also einen Tag nach dem Vorfall am Pferdemarkt, verschickt hat: Es zeigt die Hamburger Hafenkulisse, ein Schriftzug definiert den Zweck von BFE-Einheiten mit “Jagen und keine Gnade”.

Einige Monate spĂ€ter eröffnet ein Chatpartner von JĂ€ger die Unterhaltung wenig diskret mit: “So jetzt mal zu dir Du Hamburger SchlĂ€chter.”

Der VerdĂ€chtigte ist sich sicher: “Mich kriegen sie nicht!” Zwar habe “die Tussi” offenbar Anzeige gestellt. Dass nun Kolleg:innen aus der Hansestadt anreisen, um beim Bruchsaler PrĂ€sidium zu ermitteln, sieht JĂ€ger dennoch gelassen: Er hĂ€lt das fĂŒr “mega unnötig”, denn auf dem Video “siehst null Komma null”.

Als JĂ€ger schreibt, dass “scheinbar ne Frau” die Vernehmung durchfĂŒhren soll, rĂ€t sein Chatpartner: “Kannst ja bissle schmeicheln”.

WĂŒrg

Die NachrichtenverlÀufe offenbaren auch abseits der VorfÀlle um den G20-Gipfel eine krude Gedankenwelt, in der Gewalt eine Genussquelle darstellt.

Als ihn ein Freund fragt, ob er aus privatem Interesse im Stadion von Hertha BSC Berlin gelandet ist, entgegnet der PrĂŒgelpolizist: “Nein ich bin zum schlagen hier”.

Das sind genau die Leute, die ein Gewaltmonopol haben sollten.

Einmal schreibt JĂ€ger einem Kontakt, der als “Mama” eingespeichert ist: “Heute konnte ich seit langem endlich wieder einen Menschen schlagen”, das sei “richtig befriedigend” gewesen, aber “Jetzt heim Couch und Bier”.

“Ach du Armer”, entgegnet die mutmaßliche Mutter: “Bist du unbefriedigt. Hat er dich auch geschlagen?” Die Frage wird verneint. “Aber hab mir abartig das Knie gestoßen
 an der TribĂŒne beim Hinsetzen
 junge junge.”

Das tut mir jetzt aber leid.

Aus den polizeiinternen Ermittlungsunterlagen geht hervor, dass JĂ€ger viele NachrichtenverlĂ€ufe aus dem Jahr 2017 gelöscht hat. Teils konnten sie rekonstruiert werden. Allerdings ist nicht mehr ĂŒberall ersichtlich, von welchem GesprĂ€chspartner was geschrieben wurde.

Doch auch so offenbaren die Chats, wie Unterhaltungen unter Polizei-Kameraden ablaufen können. Im Dialog unter Staatsdienern bekunden zwei Beamtete ihr BedĂŒrfnis, mal wieder “Kanaken und neger [zu] schlagen”, sie schicken sich Youtube-Links zu Videos von rabiaten EinsĂ€tzen, aber klagen dann “gute gewalt ist keine drauf
”. Vielleicht gibt ja das eigene Material mehr her: “Hast du generell noch Zeug von unseren prĂŒgelorgien?”

Durchschnittlicher BSEler

Bei einem Zwischenstandbericht, wie es gerade auf einer Demo am 1. Mai 2019 zugeht, schreibt einer: “Hoffentlich kann ich einem Noch einen Eka auf den Kopf schlagen”, wobei der “Eka” im Polizeijargon fĂŒr einen Schlagstock steht.

Einmal wird das Einsatzziel im kollegialen Austausch konkret beschrieben mit: “Du sollst in nrw zecken verprĂŒgeln.”

SpĂ€ter schreibt ein Beamter ĂŒber den Einsatz, dass er mit seiner “persönlichen Bilanz” â€œĂ€ußerst zufrieden” sei, da er nun neues Pfefferspray brauche.

Und: “Einer der evtl gegen meinen Trupp gelaufen ist hat am Schluss ĂŒber den Lautsprecherwagen jemand Gesucht der ihn mit heimnimmt 
 er konnte nicht mehr laufen
”

In der gleichen Unterhaltung heißt es dann noch: “ich kann nicht mehr ĂŒber meine VorfĂ€lle schreiben, du weist Handyauswertung” – wobei es sich der Verfasser nicht nehmen lĂ€sst, noch zu betonen, dass sich ein Freiburger Hals-Nasen-Ohren-Arzt morgen ĂŒber ein paar Neukunden freuen könne.

An anderer Stelle bezeichnet JĂ€ger seinen GesprĂ€chspartner als “Rassist”, was der als Kompliment auffasst und sich bedankt. JĂ€ger bekrĂ€ftigt daraufhin: “Ich zweifel an der Intelligenz jedes Polizeibeamten der kein rassist ist.”

Sympathisch.

In einem anderen Chat-Verlauf, der gelöscht worden ist und bei dem nach der Wiederherstellung unklar bleibt, wer von den beiden was gesagt hat, klagt entweder JĂ€ger oder ein Kollege: “Um 02 aufgestanden um einen deutsche Flughafen vor einer eselfickenden Fachkraft zu beschĂŒtzen.”

Es entspinnt sich eine Unterhaltung, dass angesichts der ZustĂ€nde im Land eine Enklave irgendwo schon gut wĂ€re, vielleicht unter dem Namen “Nationalsozialistische Republik neu Deutschland”, ein “Land in dem wir gut und gerne leben”, “irgendwo im Dschungel. Da können wir dann auch das Haus von Mutti Merkel suchen und ihr mal was erzĂ€hlen.” – “Oder ganz andere Sachen mit ihr machen.”

Der Typ hat Zugang zu Waffen.

Bei dem Beamten JĂ€ger werde “eine aus hiesiger Sicht hoch problematische Dienstauffassung erkennbar”, schreibt die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg.

Untertreibung des Monats.

Allerdings nicht in einer Anklageschrift, sondern in einem Einstellungsbescheid, der die Ermittlungen fĂŒr beendet erklĂ€rt. So habe es bei der Durchsicht von JĂ€gers DatenbestĂ€nden zwar Hinweise gegeben, “dass dieser im Verlaufe der Hamburger EinsĂ€tze Gewalt angewendet und Gefallen hieran gefunden hat”.

Doch hĂ€tten es die Funde nicht ermöglicht, dem Beschuldigten den konkreten Schlag gegen das Bein der TĂ€nzerin “mit der fĂŒr eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachzuweisen”.

So reiht sich der Fall ein in die lange Reihe von Ermittlungen gegen die Exekutive, die gescheitert sind. Allein nach dem G20-Gipfel in Hamburg kam es zu 157 Anzeigen gegen Polizist:innen.

Trotz etlichen Stunden an Videomaterial, das brutales Vorgehen der EinsatzkrÀfte dokumentiert, und vielen nachweislich schwer verletzten Demonstrant:innen, gab es bislang nur ein Urteil: Weil der Polizist Klaus M. einen anderen Polizisten im Einsatz leicht am kleinen Finger verletzt hat, wurde gegen ihn eine Verwarnung unter Strafvorbehalt ausgesprochen. Falls er sich binnen eines Jahres noch etwas zuschulden kommen lassen sollte, werden 3.200 Euro Strafe fÀllig.

Gut, dass man seine PrioritÀten richtig setzt.

Die allermeisten Verfahren wurden indessen endgĂŒltig eingestellt, oftmals weil eine Identifizierung der TĂ€ter nicht gelang. Bei dem gebrochenen Bein der TĂ€nzerin wĂ€re der Nachweis ein Leichtes gewesen, wenn BFE-Einheiten aus Baden-WĂŒrttemberg schon damals eine eindeutige Kennzeichnung an der Uniform hĂ€tten tragen mĂŒssen.

Nach ĂŒber einem Jahrzehnt Debatte hat der Landtag das im Juni 2023 verpflichtend vorgeschrieben – gegen erbitterten Widerstand aus den Polizeigewerkschaften DPolG und GdP.

Diese hatten wiederholt von einem “Misstrauensvotum” und einem “Generalverdacht” gesprochen, und im Interview mit dem SWR durfte Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der DPolG Baden-WĂŒrttemberg, unwidersprochen behaupten, “dass wir keinen einzigen Fall haben in Baden-WĂŒrttemberg, bei dem wir einen Beamten, dem man ein Fehlverhalten, ein vermeintliches Fehlverhalten vorgeworfen hat, nicht identifizieren konnten”.

Ah, nice. Also weiß man wer die TĂ€ter sind und deckt sie.

Dabei sollte es gerade in Baden-WĂŒrttemberg noch Erinnerungen an den 30. September 2010 geben: Im Stuttgarter Schlossgarten wurden bei einem rechtswidrigen Polizeieinsatz hunderte friedlich Demonstrierende verletzt, ein Rentner mit einem Wasserwerfer bis zur Erblindung beschossen.

Doku (TW: Blut, Polizeigewalt). Der Typ war ein Held und hat sich zwischen Polizei und Demonstranten gestellt, als die eine SchĂŒlerdemo niederknĂŒppeln wollten.

In der Abschlussbilanz des Justizministeriums von 2013 wird ausgefĂŒhrt, dass allein in diesem Fall 156 Verfahren gegen unbekannte Polizeibeamte eingestellt worden sind, “weil kein strafbares Verhalten feststellbar war oder kein Beschuldigter identifiziert werden konnte”.

Dass sich Kolleg:innen bei der Polizei nur selten ans Messer liefern, ist indessen altbekannt. Rechtsanwalt Dieter Magsam, der die GeschĂ€digte Lola D. ĂŒber viele Jahre vertreten hat, ist nicht nur entsetzt ĂŒber den Gewalttourismus, an dem sich manche behelmte Polizisten offenbar erfreuen.

Er geht auch davon aus, dass irgendwann mal irgendwer beim PrĂ€sidium Einsatz mitbekommen haben mĂŒsste, wie der Beamte JĂ€ger tickt. Der Anwalt wĂ€re der Ansicht, dass solche Polizist:innen dringend aus dem Dienst entfernt werden sollten.

Dass es dazu kommt, ist nicht ausgeschlossen, denn beim baden-wĂŒrttembergischen PrĂ€sidium Einsatz werden gegenwĂ€rtig disziplinarrechtliche Maßnahmen geprĂŒft. Ein Sprecher erlĂ€utert gegenĂŒber der Redaktion, dass die Polizei vor eigenen Schritten zunĂ€chst den Ausgang der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen abwarten wollte. Vergangene Woche habe die Hamburger Staatsanwaltschaft nun die Akten ĂŒberliefert. Wie lange deren Auswertung dauern werde, sei noch nicht absehbar, teilt der Sprecher mit. Insbesondere die Chat-VerlĂ€ufe werde man sich sehr genau ansehen.

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    7 months ago

    Hab ich mir auch gedacht. 5000€ fĂŒr 1,5 Jahre eingeschrĂ€nktes Leben ist einfach nichts.

    Jeder zweite Satz in dem Artikel ist ein Zitat das einen dazu bringen sollte die komplette Aufbrechung der momentanen Polizeistruktur zu fordern.